Zürichseeschwimmen 2015


Prolog

Wie kommt man darauf, an einem 26 Kilometer langen Marathon-Schwimmen in einem See teilzunehmen? Für mich war es ein gedanklicher Prozess, der vor einigen Jahren begonnen hat.

Aber beginnen wir von vorne:

In meiner Jugend (lange her, Jahrgang 1977) war ich aktiv im Schwimmverein Gelnhausen bis ca. 1992, dort holte ich mir in diversen Leistungsgruppen die schwimmerischen Grundlagen.

Nach Jahren ohne regelmäßiges Schwimmen begann ich dann während des Studiums, wieder regelmäßig ins Wasser zu gehen, d.h. drei bis viermal wöchentlich für jeweils ein bis 1,5 Stunden. Die ersten (Freiwasser-)Schwimmwettkämpfe ließen dann aber noch bis 2009 auf sich warten. Ab diesem Zeitpunkt startete ich bei diversen Wettkämpfen unterschiedlicher Länge, meist zwischen 2,5 und 5 km Länge, zum Beispiel beim Inselschwimmen Hiddensee-Rügen, Müggelseeschwimmen, Chiemseeschwimmen, Wakenitzman (Staffel) oder bei kürzeren DLRG-Schwimmen am Bodensee. Hinzu kamen zwei Urlaube mit SwimTrek auf Sardinien und in Kroatien.

Irgendwann während dieser Zeit , ich glaube es war 2011, stolperte ich über die Ausschreibung für das Zürichseeschwimmen. Und dachte nicht im Traum daran, wirklich teilzunehmen! 26 Kilometer im See am Stück schwimmen, warum sollte ich mir das antun? Dann braucht man auch noch ein Begleitboot, muss sich Gedanken machen über die Verpflegung. Und schlussendlich noch der dafür notwendige Trainingsaufwand? Ohne mich, so viel war mir klar.


Der Entschluss

Während der letzten Jahre hatte ich also in den Sommermonaten einen guten Wettkampf-Rhythmus und schwamm bei meinen „altbekannten“ Veranstaltungen mit. Spaß war immer dabei, keine Frage. Aber der Gedanke, an einem Schwimmen teilzunehmen, bei dem ich nicht vorher schon wusste, dass ich auf jeden Fall auch am Ziel ankommen würde, ließ mich nicht los. Der Zürichsee schien die logische Wahl, eine solche Reise ins Ungewisse zu starten. Aber war das überhaupt durchführbar? Jeder Starter benötigt ein Boot: entweder eines der vom Veranstalter organisierten, was jedoch aufgrund der Beliebtheit der Veranstaltung und der damit einhergehenden Warteliste ca. 3 Jahre gedauert hätte, bis ich eines hätte ergattern können. Oder ein eigenes Boot, was eine Startzusage ohne Wartezeit sehr wahrscheinlich macht. Aber wo sollte dieses Boot herkommen?

Das Glück ist ja bekanntlich mit den Tüchtigen und mit den Dummen, sucht euch also aus, in welche Kategorie ihr mich stecken wollt. Wie dem auch sei, mir wurde das Glück zuteil, dass mein neuer Arbeitskollege Jens als passionierter Segler auf meine beiläufige Frage, ob er ein Boot am Zürichsee für einen Tag organisieren könnte, nur ganz lässig antwortete „das sollte gar kein Problem sein“. In diesem Moment war mir klar: ich melde mich an!


Anmeldung und Zusage

Tatsächlich war es für Jens möglich, mir ein Boot zu organisieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Startern, die sich von aufblasbaren Kajaks oder Ruderbooten begleiten lassen mussten, würde ich sogar den Luxus eines relativ großen Bootes haben.

Ich nutzte also den vorgeschriebenen Zeitraum (15.Oktober bis 15.November), um mich zum Zürichseeschwimmen 2015 anzumelden. Und am 14.Dezember war es dann soweit: die erhoffte, aber auch befürchtete Nachricht erreichte mich per E-Mail: herzlichen Glückwunsch, du bist dabei!

Aus dieser Nummer sollte ich also nicht mehr rauskommen…


Die Vorbereitung

Wie bereitet man sich auf ein so langes Schwimmen vor? Das Internet half mir bei der Recherche und gab mir erste Hinweise zum notwendigen Trainingsaufwand. Zwei Grundregeln des Freiwasserschwimmens besagen, dass man erstens mindestens vier Monate lang pro Woche in Summe dieselbe Strecke schwimmen soll, die am Wettkampftag zu bewältigen ist. Und zweitens, dass man am Wettkampftag maximal viermal so weit schwimmen kann wie in der längsten Tageseinheit im Training.

Zum Glück für mich bieten sowohl die Stadt Karlsruhe (mein beruflich bedingtes Domizil von Montag bis Freitag) als auch die Stadt Freiburg (Heimat am Wochenende) sehr gute Trainingsbedingungen. In Karlsruhe öffnet das Fächerbad bereits um 6 Uhr morgens! Perfekt, um von 6:30 Uhr bis 8:00 Uhr zu schwimmen, um im Anschluss erfrischt ins Büro zu fahren. Und am Wochenende war dann in Freiburg im Westbad (bis April) oder im Strandbad (ab Mai) Gelegenheit, die ein oder andere längere Einheit (bis zu 12 Kilometer) zu schwimmen. Auf Trainingseinheiten in Seen verzichtete ich aufgrund einer Allergie (komplett verstopfte Nase, wahrscheinlich aufgrund von Algen) fast vollständig.

Als zusätzliches Vorbereitung nutzte ich das BEST Open Water Swim Festival auf Mallorca Ende Mai. Nicht nur, dass dort eine Woche lang täglich ein Rennen im wunderbar klaren Mittelmeer (keine Allergieprobleme!) geschwommen wurde. Es gab auch die Möglichkeit, sich zu Technik-Einheiten mit Weltklasseschwimmern einzuschreiben. So konnte ich mir unter anderem von Grant Turner, Ross Davenport und Alexander Studzinski Tipps einholen, die sich als sehr wertvoll erweisen sollten. So stellte ich meine Atmung von 3er- auf 2er-Zug um. Zwei Monate vor dem großen Tag X eine so grundlegende Veränderung vorzunehmen ist eher ungewöhnlich, dennoch ging ich das Risiko ein. Zum anderen bekam ich wichtige Hinweise zur Verpflegung während solch langer Rennen.

So rückte der Tag X unaufhaltsam immer näher. Und umso mehr kreisten meine Gedanken nunmehr täglich um das anstehende Schwimmen. Vorfreude mischte sich mit Anspannung. Glücklicherweise wurde ich durch keine Krankheiten zurückgeworfen und konnte gut trainieren.


Zürich – vor dem Rennen

Ich hatte mir den Freitag vor und den Montag nach dem Schwimmen freigenommen. So konnte ich mit meiner Frau Clara am Freitag in aller Ruhe die notwendigen Vorbereitungen treffen. Dank Claras Organisationstalent standen Dinge wie Zeitplan und Checkliste für benötigtes Equipment bereits seit Wochen fest. Wir packten also unsere Siebensachen. Am Nachmittag traf meine Mutter ein, die uns nach Zürich begleiten würde, um mich direkt vor dem Start zu betreuen und das Auto vom Start zum Ziel zu bewegen. Zusammen mit meinem Kollegen und Bootsführer Jens und seiner schwangere Freundin Kati genossen wir ein leckeres Abendessen, bevor Jens und Kati sozusagen als Vorhut bereits die Reise nach Zürich antraten.

Am Samstag Vormittag trafen wir uns dann zu fünft in Herrliberg am Zürichsee. Dort lag unser Boot vor Anker, mit dem wir unter Jens fachkundiger Anleitung nach Rapperswil segelten, wo am folgenden Tag der Start stattfinden sollte.

Während unserer Bootsfahrt frischte der Wind stark auf. Bei solchen Bedingungen wäre ein Schwimmen unmöglich! Sollten die vielen Trainingskilometer umsonst gewesen sein? Sollte mir das Wetter ausgerechnet jetzt einen Strich durch die Rechnung machen? Für den Sonntag waren zwar beste Bedingungen und Windstille angesagt, aber wie sicher konnten wir uns sein?

Weitere Zeit, solch trübseligen Gedanken nachzuhängen, blieb aber sowieso nicht. Nach einer Kaffeepause und kurzer Stadtbesichtigung machten wir uns zu Fuß auf den Weg zum Hochschulgebäude, dem Ort der Registration für das Schwimmen und der Wettkampfbesprechung. Dort angekommen, wurde ich direkt vom Fotografen des Sri Chinmoy Teams abgefangen. Wie ich erfuhr, erhält jeder erfolgreiche Teilnehmer nach dem Schwimmen eine Urkunde mit seinem Portraitfoto – also war Lächeln angesagt. Dann bekam ich auch schon meinen Teilnehmerbeutel, mit meinem vorbestellten T-Shirt, einer leuchtend roten Badekappe, den wichtigsten Telefonnummern (Schiedsrichter, Ärzteboot) sowie meiner Startnummer zur Befestigung am Boot. Die anschließende Wettkampfbesprechung brachte mir keinen neuen Erkenntnisse zum Ablauf des morgigen Schwimmens: schließlich hatte ich mir Dutzende Male die Ausschreibung sowie die Hinweise des Veranstalters durchgelesen. Sehr nett war jedoch das gezeigte Video mit den erfolgreichen Teilnehmer des vergangenen Jahres. Das sollte dann doch auch für mich zu schaffen sein, oder?

Am Abend vorher

Im Anschluss fuhren wir nach Zürich, machten uns kurz im dort gebuchten Hotel frisch und suchten uns dann ein gemütliches Restaurant für das Abendessen. Einen großen Burger, eine ordentliche Portion Pommes und zwei alkoholfreie Weizenbier später waren meine Kohlenhydratspeicher gut gefüllt.

Angesichts des frühen Starts in Rapperswil war direkt danach auch schon Bettruhe angesagt. Habe ich „Ruhe“ gesagt? Unser Hotel schien im Zentrum der Züricher Partymeile zu liegen! Trotz geschlossenem Fenster war an Schlaf kaum zu denken. Aber da der Wecker um 4:30 Uhr klingelte, hatte ich sowieso nicht erwartet, gut ausgeschlafen den Weg nach Rapperswil antreten zu können.

So waren wir – eine Autofahrt am Zürichsee entlang später – pünktlich um kurz vor 6 Uhr in der Schlossbadi in Rapperswil, von wo aus die Schwimmer das Rennen aufnehmen würden. Hier zeigten die fleißigen Helfer des Sri Chinmoy Teams ihr Können und hatten bereits für Schwimmer und Begleiter ein Frühstück vorbereitet. Mit Mühe schaffte ich es, mir ein paar (mitgebrachte) Minimuffins, ein Marmeladenbrot und einen schwarzen Kaffee einzuverleiben.

Ein Blick auf den See: spiegelglatt und friedlich lag er da. Kein Vergleich zum windigen Wetter am Tag zuvor, ein Glück! Hinzu kam ein leicht bewölkter Himmel, kein Regen und milde Temperaturen. Das Wetter zeigte sich also von seiner allerbesten Seite.

Jetzt war Arbeitsteilung angesagt. Clara, Kati und Jens machten sich auf den Weg zum Hafen, um unser gestern dort verankertes Boot flottzumachen und Richtung Schlossbadi zu bringen. Meine Mutter blieb bei mir in der Schlossbadi und half mir bei den letzten Vorbereitungen, insbesondere beim gründlichen Einölen mit Sonnencreme sowie Einfetten mit reichlich Vaseline. Ich zwängte mich mühsam in meine Schwimmhose. Ein kurzes Vor-Start-Interview durfte ich dann auch noch geben. Unglaublich, wie schnell so die Zeit verflog!

Vor dem Start mit Vaseline eincremenInterview vor dem StartVorfreude


Und dann war es auch so weit, zusammen mit den anderen Soloschwimmern wurde ich mich ins Wasser an den Startbalken gebeten. Ich verabschiedete mich von meiner Mutter, die meinen Rucksack mit meinen Habseligkeiten an sich nahm. Langsam ging ich die Treppe hinunter ins Wasser. 24 Grad - gut fühlte es sich an! Unterkühlung würde heute nicht zu meinen Problemen gehören, so viel stand fest. Ich zurrte meine Schwimmbrille zurecht und suchte mir einen Platz am Rand des Starterfeldes.


Zürich – das Schwimmen

Und genau jetzt verflog jegliche Anspannung. Für diesen Moment hatte ich trainiert, auf diesen Tag hin hatte ich mich monatelang gründlich vorbereitet. Und jetzt konnte ich das tun, was mir seit so langer Zeit so viel Spaß macht und so viel Kraft gibt: schwimmen!

Ein 10-Sekunden-Countdown… und dann START!

Ich hatte mir vorgenommen, mich nicht von irgendwelchen Schnellstartern aus dem Konzept bringen zu lassen, sondern ruhig und gleichmäßig anzuschwimmen. Und schon während der ersten Sekunden merkte ich, dass ich dies auch genau so umsetzen konnte. Lange, gleichmäßige Züge, ruhig atmen, lockerer 6er-Beinschlag – alles passte sofort. Ich nahm am Rande die anderen Schwimmer um mich herum wahr und hatte das Gefühl, mich im vorderen Drittel des Feldes zu befinden.

Erste Armzüge

Vor dem Start hatte ich mein Begleitboot von der Schlossbadi aus nicht entdecken können, aber ich wusste, dass ich mich zu 100% auf mein Team auf dem Boot verlassen konnte. Und in der Tat, nach wenigen Minuten entdeckte ich mein Boot, die „Le Cactus“, und hielt darauf zu. Ein kurzes Winken von Clara zeigte mir, dass mich meine Helfer ebenfalls bereits entdeckt hatten

An der rechten Seite der „Cactus“ angekommen verließ ich mich von Beginn an auf die Orientierung meiner Helfer, die vom Boot aus zielsicher die kürzeste Route ansteuerten, immer nach dem Prinzip „das Boot führt den Schwimmer, und niemals das Schwimmer das Boot“.

Mit Clara hatte ich vereinbart, dass sie mir alle 20 Minuten etwas zu trinken und ein Gel reichen würde. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Kescher klappte das völlig problemlos.

Mein Team auf dem Boot

Und das Schwimmen? Was soll ich sagen? Hier würde ich nicht verlieren können. Ich konnte bis zum Sonnenuntergang schwimmen. Ich konnte bis zum Ziel und auch wieder zurück zum Start schwimmen, falls notwendig. Die Arme schwang ich locker nach vorne, das Wasser perfekt fassen, die Hüfte war schön weit oben, ein lockerer und dennoch kräftiger Beinschlag trieb mich wie ein Außenbordmotor an. Ich fühlte mich stark und unbesiegbar. Ich war also in gutem Tempo unterwegs und freute mich sehr, als ich in Kehlhof meine Mutter am Ufer stehen sah – guter Dinge winkte ich ihr kurz zu und schwamm weiter Richtung Zürich.

Doch dieses Hochgefühl sollte nicht mehr lange anhalten. Irgendwo auf dem Weg zwischen Kehlhof und dem Cut-Off-Punkt in Meilen (bei Kilometer 14) wurden die Arme schwerer, der Zug war nicht mehr so locker. Auch der Wellengang schien zuzunehmen. Wo blieb Meilen? Für mich ein ganz wichtiger Punkt, denn dort würde ich bereits mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt haben. WO BLIEB MEILEN? Die dort kreuzende Fähre konnte ich schon bald sehen, aber sie schien einfach nicht näher zu kommen, es schien fast wie verhext. Ich ermahnte mich nachdrücklich, an die bisher zu positiv verlaufenden Kilometer zu denken, die schon hinter mir lagen. Negative Gedanken schob ich zur Seite so gut es ging.

Und dann kam endlich Meilen! Sehr beeindruckend, die große Autofähre, die anscheinend soeben losfahren wollte, aus unmittelbarer Nähe und aus dem Wasser heraus beobachten zu können. Als ich mich ihr näherte, ertönte auch schon das Horn: Abfahrt! Ich suchte Blickkontakt zum Schiedsrichterboot. Von dort aus bekam ich das Zeichen „rasch weiterschwimmen“. Das tat ich, Zeit gab es keine zu verlieren.

Direkt danach sah ich meine Mutter zum zweiten Mal am Ufer stehen und konnte ihr erneut zuwinken, wenn auch nicht mehr so lässig wie noch einige Kilometer zuvor.

Hinter Meilen schien ich den zweiten Wind zu bekommen. Ich fühlte, dass ich wieder etwas flüssiger und schneller schwimmen konnte. Hinzu kam, dass wir uns nun zwei anderen Soloschwimmern genähert hatten, die augenscheinlich auch nicht mehr den besten Eindruck machten oder sogar deutlich schlechter aussahen als ich – jedenfalls, soweit ich das beurteilen konnte. Clara bestätigte mir dann vom Boot aus, dass zumindest einer der beiden anderen Schwimmer eingebrochen war. Lange darüber nachdenken konnte ich mir allerdings nicht erlauben, denn nun folgten die härtesten Kilometer. Meine Arme schmerzten, und ich musste mich zusammenreißen, um die Zuglänge einigermaßen beizubehalten. Hinzu kam, dass mein Magen anfing zu rebellieren. Ich konnte keines dieser plötzlich ekelhaften Gels mehr in mir halten, auch das Trinken fiel schwer. Müde schüttelte ich den Kopf, wenn Clara mir bei einer der Pausen versuchte, mir etwas Nahrhaftes anzubieten. Verdursten würde ich allerdings nicht, so viel war mir angesichts der Menge an verschlucktem Seewasser klar.

Die Strecke wird lang

Das Zürichseeschwimmen hatte sich nun also in den erwarteten Härtetest verwandelt. Aber (so redete ich mir ein) es war ja auch nicht mehr weit. Ich suchte aufmerksam das Ufer ab, um die Ortsnamen lesen zu können. Bis Küsnacht und dem dortigen Küsnachter Horn musste ich nun als nächstes schaffen, dort war der zweite und letzte Cut-Off-Punkt bei Kilometer 21,4. Und Küsnacht kam, da war das Ortsschild! Aber wo war das Horn? Ich schwamm und schwamm und schwamm. Würde ich das Horn überhaupt vom Wasser aus erkennen können? Noch zwei Pausen, noch zwei Versuche, etwas zu trinken. Zumindest einen salzigen Reiskeks konnte ich hinunterwürgen. Dann reichte es mir, und zwar gründlich. Den nächsten Stopp nutzte ich, um meine Bootscrew zu fragen: „Ist da vorne das Küsnachter Horn?“

Die Antwort kam mit Jens' optimistischem Tonfall und war Musik in meinen Ohren: „Nein, da sind wir doch schon längst vorbei!“

Dann würde ich den Rest der Strecke doch auch noch schaffen können! Jetzt öffnete sich der See, und vom Boot aus wurde mir mitgeteilt, dass wir nun die Ufernähe verlassen würden, um auf kürzestem Weg das Ziel anzusteuern. Also los! Ich mobilisierte die letzten Reserven und folgte dem Boot. Ich vermied es, direkt nach vorne zu schauen, denn mir war bekannt, dass man das Ziel zwar schon aus großer Entfernung erkennen konnte. Aber es gibt kaum etwas Schlimmeres als ein Ziel vor Augen zu haben, was einfach nicht nähern kommen will.

Also Augen nach rechts! Dort konnte ich Häuser am nun weit entfernten Ufer erkennen. Ich beschloss, mir eines der markanten Häuser als Orientierungspunkt zu merken. Ich schwamm, ich atmete, ich kämpfte, ich legte alles in meinen Armzug. Das Haus! Es bewegte sich nicht! Warum nicht? Ich gab alles. Trotz schmerzender und verkrampfter Beine, jetzt brauchte ich meinen Beinschlag. Immer wieder ein paar Meter die Kicks einsetzen. Allein, es schien nichts zu helfen! WARUM bewegten sich diese Häuser nicht? Das gibt es doch nicht! Ein paar Züge Brust, wenn die Arme und Beine gar nicht mehr wollten. Wo waren die anderen Schwimmer? Ich schien weit und breit der einzige Starter hier in der Mitte des Wassers zu sein. Konnte es sein, dass wir unbemerkt in eine Gegenströmung gekommen waren? Würde ich hier meine letzten Körner lassen, ohne auch nur einen Meter weiterzukommen?

Die letzten harten Kilometer

Ruhig bleiben! Ich musste mich nun einfach auf meine Helfer auf dem Boot verlassen. Sie würden mir schon sagen, wenn es nicht mehr vorwärts ginge. Was war das nun ein zäher Kampf. Aber auf den letzten Kilometern aufzugeben kam auf keinen Fall infrage.

Also doch der Blick nach vorn – Ballons! Dort sind die Ballons! Dort ist das Ziel. Weiter schwimmen, immer weiter schwimmen. Es ist schwierig zu beschreiben, was während dieser letzten Kilometer in mir vorging, aber der Begriff des „self transcendence“, des Über-sich-selbst-Hinausgehens bekam eine sehr reale Bedeutung.

Und auch diese letzte Strecke nahm schließlich ihr Ende. Die Ballons kamen näher und näher, und schließlich wurde es Zeit, die letzten 200 Meter alleine zu schwimmen. Die Boote müssen hier nach links in den Hafen fahren, während die Schwimmer geradeaus ins Glück schwimmen. Da, die Treppe! Jetzt nicht stolpern beim Wechsel von der Waagerechte in die Senkrechte. GESCHAFFT!

Und jetzt sind die Schmerzen plötzlich wie weggeblasen. Viel Zeit, sich das Erreichte klarzumachen, bleibt nicht: denn im Ziel heißt es, direkt ein Interview zu geben. Lächeln bitte!

Interview direkt im Ziel

Dieses Schwimmen zu verarbeiten, dafür ist später genug Zeit. Jetzt heißt genießen – das tolle (vegane) Buffet im Zielbereich, die Gespräche mit meinen Begleitern und den anderen Schwimmern (die schon da sind oder noch kommen). Und vor allem den Anblick der Ergebnistafel, auf der in großen Lettern mein Name steht: 3.Platz! Damit hatte ich nicht gerechnet! Mit meiner Zeit von 8 Stunden und 4 Minuten bin ich sehr zufrieden. Die nächsten Stunden im Zielbereich bis zur Siegerehrung vergehen angesichts meiner Hochstimmung wie im Fluge.

Siegerehrung

Epilog und Danksagung

Auch wenn Schwimmen eine klassische Individualsportart ist, so ist ein Wettkampf dieser Länge natürlich nicht alleine zu schaffen. Ohne die Unterstützung meiner Frau Clara – nicht nur während des Schwimmens auf dem Boot, sondern insbesondere auch während meiner Vorbereitungszeit – hätte ich das Schwimmen nicht erfolgreich bestreiten können. Clara war von Beginn an begeistert von meiner Idee der Teilnahme am Zürichseeschwimmen, plante und organisierte mit mir zusammen das komplette Wochenende und war zu jedem Zeitpunkt vom erfolgreichem Abschluss überzeugt.

Außerdem danke ich meinem Kollegen Jens, der mir mein Begleitboot organisiert hat (an dieser Stelle auch ein herzliches Dankeschön an den mir leider unbekannten Besitzer des Bootes) und zugunsten eines arbeitsreichen Wochenendes in der Schweiz auf mögliche andere, entspannende Veranstaltungen verzichtet hat. Natürlich zusammen mit seiner Freundin Kati, der Ärztin meines Vertrauens ;-)

Und zu guter Letzt auch vielen Dank an meine Mutter, die mich insbesondere direkt vor dem Start unterstützte und sich traute, ein ihr unbekanntes Auto durch eine ebenso unbekannte Umgebung zu bewegen.

Wie es nun schwimmerisch weitergeht? Gute Frage, konkret geplant ist noch nichts, auch wenn die ein oder andere Idee schon in der Entwicklung ist. Aber bis dahin ist noch Zeit. In diesem Sinne: Keep on swimming!

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